28
Mrz
2012

Selbstisolation

Es gab glückliche Zeiten der Selbstisolation. Ich begnügte mich mit Vergnügen damit Football zu spielen, Gustav Mahlers Symphonien zu hören, ein bischen zu studieren und viel zu arbeiten. Als Barkeeper. Irgendwann fing ich dann an mir selbst mehr einzuschänken als den Gästen. Ich konnte mir dieses Verhalten wohl leisten weil ich viele beliebte Cocktails mixen konnte und die Rezepturen im Kopf hatte, die englischsprachigen Gäste gut bei Laune hielt und der Pub Besitzer konnte und wollte deshalb nicht auf mich verzichten.

Spät, als ich zwischen 3 und 4 uhr Morgens den Laden dicht machte, ging ich nie nach Hause. Ich ging in den Parks, ich ging in andere Bars die noch auf hatten und versoff regelmässig mein Trinkgeld was damals sehr beachtlich war. Ich schlief teilweise mit 3 Frauen innerhalb einer Nacht und manchmal wachte ich Morgens auf und wusste nicht bei wem ich war und fand meistens nur ein Zettel vor mit Telefonnummer und ähnlichem Bullshit. Manchmal fand ich aber auch gar nichts vor was mir die Frauen gleich sympatischer machte. Ich hatte eine kleine Studentenwohnung in der ich mich nicht sehr oft aufhielt. Ich schlief bei den Frauen die ich zuvor kennenlernte, in Telefonzellen, in Bars, in der Dresdner Bank. Ich began den Schmerz zu fühlen und damit umzugehen, ja ich gewöhnte mich sogar daran und wollte ihn nicht missen. Ich bekam pro Jahr immer ein mal die Grippe, in dem besagten Winter aber habe ich mich nicht einmal erkältet obwohl ich oft draussen im Freien oder eben auf kalten Teppichböden der Dresdner Bankfilialen schlief auch bei Temperaturen unter 5 Grad Minus. War ich abgehärtet? Ist es deshalb dass die Arztpraxen immer voller wohlernährter Menschen aus der mittleren und oberen Klassen der Gesellschaft sind, während dort fast nie ein Penner oder einer aus der Heilsarmee zu sehen ist?

Ich fing an das Alleinsein zu schätzen, ich arbeitete, studierte nicht richtig, trank viel, schlief überall nur nicht zuhaus, prügelte mich 5 oder 6 Mal innerhalb von 4 Monaten mit Amerikanern, Engländern, Iren, Deutsche, Türken, Marokkanern und hörte unaufhörlich Gustav Mahlers 5te. Vor allem der Trauermarsch hatte es mir angetan. Es gab Zeiten an denen ich in betrunkenem Zustand nach Hause kam, Astor Piazzollas CD auflegte, mir dabei einen Kaffee machte, mich auf dem Sofa hinschmiss und aus dem Fenster schaute bis es hell wurde und ich irgendwann einschlief ohne den Kaffee getrunken zu haben. Wenn es einen Gott geben sollte, müsste er ein geschmackloser Nichtsnutz sein, sollte er diesen Mann nicht in Frieden ruhen lassen.

Die Oberflächlichkeit der anderen fiel mir öfter und genauer auf. Wenn ich Zeit fand schrieb ich Geschichten.

Das wichtigste was ich jedoch aus der Zeit ausser Nehmerqualitäten und Durchhaltevermögen mitnahm war ein Verstand der an Schärfe gewonnen hatte und ein Blick der viel klarer und wacher war und ein Immunsystem das abgehärtet war.

Sobald sich der Mensch von der Gesellschaft geistig absondert, sich ganz in sich selbst zurückzieht, reisst ihm der Verstand die Brille von den Augen, die ihm alles viel zu lange in verzerrter Gestalt zeigte. Er fängt an die Dinge mit klarem Blick wahrzunehmen und begreift selbst nicht mehr, warum er das alles nicht schon viel früher erkennen konnte.

Astor Piazzolla - Oblivion

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Iggy - 29. März, 15:30

ja die brille...

manchmal ist sie ein schutzmittel gegen den hass und den wahnsinn. vor allemsich selber gegenüber.
aber sag' einmal: ist moscowitz weit entfernt von chinaskowitz? ;-)

Moscowitz - 29. März, 16:00

Nein liebe Iggy, überhaupt nicht weit entfernt. Moscowitz ist jetzt nur die neue Beta 2.0 Version des Chinaski ;-)
Iggy - 29. März, 16:33

ich wusste es!

aber optimistischer ist sie wohl nicht. *g*
Moscowitz - 29. März, 16:54

Nein...wenn man erstmal meint hinter den Schwindel gekommen zu sein, dann gibt es kein zurück...denke ich zumindest.vielleicht gibt es irgendwann ja doch wieder ein zurück zu einer Phase der Selbsttäuschung und Selbstverdummung aus Verzweifelung und Resignation . Noch ist es nicht soweit :)
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